Mein Blick ist starr nach vorne gerichtet. Und dann ertönt das Startsignal, blitzschnell schiebe ich die Bremshebel nach hinten und wir laufen los. …
Die Rede ist hier vom Mitteldeutschen Marathon, der jedes Jahr im Herbst unter anderem auch mit einigen “avendi run & roll”-Staffeln an den Start geht. Hier fungiere ich, als Rollstuhlfahrer, wie ein Staffelstab. Tatsächlich hielt ich während der etwa 42 Kilometer auch einen in der Hand. Ziel war es, den Staffelstab, also mich, über diese Strecke ans Ziel zu bringen. Um diese Aufgabe zu meistern, hatte ich ein tolles Team aus den unterschiedlichsten Menschen, die sonst wahrscheinlich nie zueinander gefunden hätten. Es fing an mit meiner Mutter, über ihre Arbeitskollegen, meine Großmutter, einen Sozialarbeiter meiner Schule, einen “alten” Zivi, mit dem ich immer noch Kontakt hielt, bis hin zu einem professionellen Läufer. Und natürlich darf man hierbei meinen Vater nicht vergessen, der die gesamte Strecke mit dem Auto abfuhr und die Läufer von dem Punkt abholte, an dem sie abgelöst wurden.
So ginge ich mit etwa zehn Leuten 2009 das erste Mal an den Start. Im Voraus konnte jeder in eine Liste eintragen, wie viele Kilometer er laufen wollte, 2, 4, 8, 10 oder 20. Das ging natürlich auch zu zweit. Trainiert hatten wir, mehr oder weniger, jeder für sich.
Durch Flyer, die an meiner Schule verteilt wurden, und einen Jungen, der begeistert von diesem Event erzählte, kam ich auf die Idee, mich dort anzumelden. Der Veranstalter war ganz glücklich darüber, dass noch so eine Staffel zusammengekommen war. Denn auch, wenn es früher vielleicht noch anders hieß, konnte man das Ganze sicher als Akt der gelungenen Inklusion betrachten. Schließlich war es der Mitteldeutsche Marathon, hier liefen noch Tausende mit uns.
Während meiner Zeit hier habe ich eine entscheidende Sache gelernt: Bewegung ist wichtig, doch worauf es wirklich ankommt, ist der Teamgeist. Hast du ein gutes Team, hast du eine gute Chance zu gewinnen, aber vor allem ein gutes Gefühl! Der gemeinsame Zieleinlauf war immer unbeschreiblich. …
Sicher fragt ihr euch jetzt: Was war eigentlich meine Aufgabe? Zunächst einmal, ich hatte den Staffelstab, um den sich ja alles drehte!!! Nein, kleiner Scherz. Während der etwa 42 Kilometer triffst du auf die unterschiedlichsten Menschen, sie klatschen, pfeifen, machen Musik, rufen dir ihren Respekt entgegen. Mit Trillerpfeife und gefühlten 1.000 Danke-Rufen versuchte ich mich zu revanchieren. Und zwar aufrichtig! Denn ja, es gibt diese Leute, die aus Mitleid klatschen und sich denken, dass das arme Mädchen nicht mitlaufen kann. Doch die meisten begegnen dir mit dem allergrößten Respekt. Und dafür bin ich sehr dankbar. Denn seht ihr nicht, wie ich “mitlaufe”, wie ich mittendrin bin. Genau so funktioniert Inklusion! Dieses Gefühl vervielfältigte sich, wenn wir alle erschöpft, denn auch sitzen ist anstrengend, in Halle (Saale) ins Ziel einliefen.
Nach dem ersten Marathon habe ich mir ein “Rennrad” verordnen lassen, durch das man den Rollstuhl weitaus besser schieben und wenden kann. Dieses wird vorn am Stuhl festgehakt. Nie würde ich die Strecke mit meinem Aktuellen angehen, das ist viel zu gefährlich. Falls du noch einen alten Rollstuhl besitzt, benutze ihn für solche Aktionen. Wichtig sind auch Schutzhelm und Regenkleidung.
Ich wurde älter und verbrachte meine Zeit mittlerweile mit anderen Dingen. Trotzdem nahm ich noch ein kleineren Läufen teil, dann aber nur mit einer oder zwei Personen. Zuletzt nahm ich 2016 am CityLauf in Dessau teil.
Abschließend hoffe ich, dass es, wo immer du auch wohnst, auch solche Aktionen gibt und vielleicht hast du jetzt ja Lust bekommen, einmal an so einer teilzunehmen, egal ob als Rollstuhlfahrer oder als Läufer. Denn für mich ist das bis heute der Inbegriff von Inklusion, jeder gehört zu einem großen Team und leistet einen wichtigen Beitrag, egal mit welcher Beeinträchtigung!
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