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Der Kampf um gute Teilhabe behinderter Menschen

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Lea Magdalena Voitel, ich bin 19 Jahre alt, wohne zur Zeit in Potsdam, komme aber ursprünglich aus Lutherstadt Eisleben in Sachsen Anhalt. Lieber wäre es mir gewesen, ich hätte gleich einen Abgeordneten aus Wahlkreis 74 erreichen können, leider konnte ich aber keine passenden Kontaktdaten finden. Also schreibe ich an diese Adresse, in der Hoffnung, dass sie nicht überlesen oder gar ignoriert wird.

Wie sie hoffentlich mitbekommen haben, demonstrierte vorgestern Mittag/Nachmittag eine Menschenmenge zwischen Bundeskanzleramt und Brandenburger Tor für eine gute Teilhabe behinderte Menschen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Ich selbst war unter diesen Menschen.


Durch Sauerstoffmangel bei der Geburt trug der Teil meines Gehirns, der für meine Bewegungsabläufe zuständig ist, Schaden davon. Seitdem habe ich eine spastische Tetraparese und sitze im Rollstuhl, die Krankheit wirkt sich auf die Bewegung in allen vier Gliedmaßen und leider auch auf die Sprache aus. Doch wahrscheinlich wäre ich gestern auch dort gewesen, wenn ich nicht im Rollstuhl sitzen würde, denn meiner Meinung nach sollte jeder Mensch die Möglichkeit haben, ein ganz normales Leben zu führen, welche Hilfestellungen auch immer nötig sind, um dieses normal zu gestalten.

Um die Sache von gestern würdevoll abzuschließen, hier diese E-Mail. Das soll keine Anfeindung oder Beleidigung sein, ich möchte auch nicht auf die Tränendrüse drücken, dafür bin ich viel zu stolz. Ich möchte Ihnen einfach nur meine Geschichte erzählen, in der Hoffnung, sie möge zum Nachdenken anregen:

Im letzten Jahr habe ich Abitur gemacht. Nach der Schule war es mir nicht möglich, trotz eines guten Zeugnisses, eine Ausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden. Vielleicht weil die Menschen mich nicht verstanden haben, vielleicht waren sie aber auch mit dem Rollstuhl überfordert. Schon das dürfte im 21. Jahrhundert und im Zeitalter der Inklusion nicht mehr sein! Aber ich will mich nicht beschweren. Schlussendlich bin ich nach Potsdam ins Berufsbildungswerk für behinderte Menschen gegangen. Nicht meine erste Wahl aber ich fühle mich dort wohl. Nun mache ich dort 3 Jahre meine Ausbildung und bin dort im Internat untergebracht. Doch diese drei Jahre sind auch irgendwann vorbei. Danach möchte ich studieren und einmal in einer höheren Position tätig sein. Doch laut der jetzt geltenden Gesetzeslage wird es mir nichts bringen, gutes Geld zu verbringen. Denn: Ich werde später mindestens 12-h-Assistenz benötigen, weil ich aufgrund körperlicher Einschränkungen nicht alleine leben kann. Wer diese Leistungen braucht, darf laut Gesetz nicht mehr als knapp über 764,00 € + die monatliche Kaltmiete des jeweiligen Ortes verdienen. Das leuchtet mir nicht ein, schließlich habe ich dann den gleichen Abschluss wie andere in meiner Fachrichtung. Der einzige Unterschied besteht in der nötigen Hilfeleistung. Das ich diese benötige, habe ich mir ja nicht ausgesucht. Im Klartext sagt das Gesetz aus: Weil du Hilfe brauchst, bekommst du weniger Geld, was wir in deine Pflege investieren. Du erbringst zwar dieselbe Leistung aber bekommst aufgrund des Rollstuhls weniger Geld. Das darf doch nicht sein, denn nur durch diese Hilfe ist es mir möglich, ein annähernd so normales Leben zu führen wie meine laufenden Kollegen. Und trotzdem bekommen sie mehr Geld und sind dazu noch unabhängig von jeglicher körperlicher Hilfe. Das kann es nicht sein! Das kann nicht die Lösung sein! Aus diesem Grund fordere ich von Assistenzleistungen unabhängige Einkommen, einfach weil es das Recht JEDES Menschen ist, gemäß seines Abschlusses zu verdienen!

Genauso nicht nachvollziehbar ist, warum Menschen im Rollstuhl nur 2.600,00 € ansparen dürfen, wenn die Assistenz notwendig ist. So kann ich mir doch nie ein Auto kaufen oder ähnliche Investitionen tätigen. Sie müssen wissen, dass wenn man auf eine Assistenz zurückgreifen muss, man bei fast allen körperlichen Dingen auf Hilfe angewiesen ist. Schön ist das definitiv nicht! Bitte sorgen sie dafür, dass die Pflege bezahlbarer wird und das wir sparen und vorsorgen können, wie jeder andere Mensch auch. Ich fordere mein Recht auf Sparen, einfach weil es ein Menschenrecht ist!In Deutschland gibt es viel zu wenige bezahlbare, rollstuhlgerechte Wohnungen. Wenn ich solch eine Wohnung dann für meine Bedürfnisse umbauen lasse, muss ich, laut Gesetz, vor meinem Auszug den Rückbau aus eigener Tasche bezahlen. Ich verdiene doch aber gar nicht genug Geld. Wie soll das funktionieren? Schließlich müssen diese Umbauten sein, damit ich in meiner Wohnung gut leben und mich wohlfühlen kann. Das hat nichts mit Luxus zu tun, sondern mir Deckungen von Grundbedürfnissen. Auch als Rollstuhlfahrer möchte ich frei wählen können, wo ich wohnen und arbeiten möchte. Dieses Recht ist im Grundgesetz fest verankert. Doch so wie es im Moment aussieht, werden die Assistenzleistungen in so guter Form nur in Berlin von einem Verein bzw. des persönlichen Budgets finanziert. Was ist, wenn man aber als Rollstuhlfahrer nicht nach Berlin möchte. Das Netz der Assistenzleistungen muss bundesweit ausgebaut werden und es muss bezahlbar sein. Denn für uns ist das die Voraussetzung für ein gutes Leben! Es darf unsere Gehälter nicht belasten!

Zu guter Letzt wäre es ein wichtiger Punkt mehr barrierefreie Zugänge zu schaffen, Fahrstühle in Gebäude zu integrieren, genauso wie rollstuhlgerechte Sanitäreinrichtungen oder ganz einfach die Bordsteine abzusenken, am besten auf 0 cm, also ebenerdig. Denn sonst nützen uns Geld und ein schönes Heim nichts, dann sind wir nämlich trotzdem auf Hilfe angewiesen, um den einen oder anderen Weg zu erledigen. Diese Hilfe wäre unnötig! Ein Beispiel, was mich schon damals sehr zornig gestimmt hat und nach dem ich das Bedürfnis hatte, unbedingt etwas zu verändern: Zu der Zeit als ich gerade aus der Grundschule kam, wurde bei uns im Ort eine Schule (Gesamtschule) für mehrere Millionen umgebaut. Auf diese Schule hätte ich ja eigentlich ab dem nächsten Schuljahr gehen können. Nur leider hatten sie in ihren Bauplänen nicht an den Fahrstuhl oder die rollstuhlgerechte Toilette gedacht. Wie kann das sein, wie kann man, wenn man so viel Geld zur Verfügung gestellt bekommt so etwas nicht bedenken? Diese Ignoranz kann ich bis heute nicht verstehen.

Es muss etwas getan werden, dringend! Die Gelder sind da, da bin ich mir ganz sicher. Doch vielleicht kommt man von alleine nicht auf diese Ideen, wenn ich nicht in der Situation wäre, würde es mir wahrscheinlich genauso gehen. Deswegen hoffe ich, meine elektronische Nachricht konnte Ihnen etwas die Augen öffnen. Natürlich habe ich keine Ahnung, bei wem die E-Mail jetzt letztendlich landet. Doch ich würde mir sehr wünschen, dass sie weitergeleitet und verbreitet wird und vielleicht sogar etwas Reelles bewirkt.

Für Rückfragen jeder Art stehe ich Ihnen natürlich zur Verfügung. Über eine Antwort wäre ich auch sehr erfreut. Hoffentlich können Sie meine Gedankengänge verfolgen und auch etwas davon nachvollziehen.

Mit freundlichen Grüßen

Lea Voitel

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