Die Idee
Nachdem ich Ende Juli aus meinem Urlaub in Kempten (Bericht folgt) kam, beschlossen wir (mein Vater und ich) nach ein paar Tagen des Ausruhens noch einen kleinen Städte-Trip zu unternehmen, bevor mich mein Weg nach Potsdam führte und viel Neues beginnen sollte.
Die Reise sollte folgende Kriterien erfüllen: Wir wollten in eine Stadt, von der man in wenigen Tagen viel sehen konnte. Außerdem wollten wir nicht zu viel für den Urlaub zahlen müssen, das heißt für Anreise und Unterkunft, denn ist man erst einmal in einer Stadt, gibt man ganz automatisch genug Geld aus. Städtereisen sind teuer! Welche Stadt könnte unseren Anforderungen hier gerecht werden? Die Antwort erhielten wir eher durch Zufall, als mein Vater beim Surfen auf ein Hotel in Prag stieß, welches auch über ein rollstuhlgerechtes Zimmer verfügte. Da auch ich gerade entspannt an meinem Computer saß, versuchte ich mit einem Englisch, was wahrscheinlich in Ordnung war, doch mich nicht zufriedenstellte, uns dieses Zimmer im oben angegebenen Zeitraum zu reservieren.
Die Antwort des Hotels (Hotel Beránek) kam innerhalb weniger Stunden, sie hatten uns für das Zimmer vorgemerkt. Jetzt blieb nur noch die Frage der An- und Abreise. Theoretisch könnte man von uns aus (Lutherstadt Eisleben, Sachsen Anhalt) mit dem Auto in vier Stunden in Prag sein.
Im Mai 2014 war ich mit meinem Opa und meinem Vater mit dem Auto auf dem Weg zu dem tschechischen Ort Kutná Hora. Auf der Fahrt kamen wir auch an Prag vorbei und wollten uns die Stadt auch eigentlich während eines kleinen Zwischenstopps ansehen, doch der strömende Regen an diesem Tag verhinderte das.
Noch ein Grund mehr, der für die Stadt Prag sprach. Doch dieses Mal waren wir nur zu zweit und ich hätte meinem Papa das Autofahren nicht abnehmen können. Also beschlossen wir, die An-und Abreise mit dem Zug zu unternehmen, um den Urlaub für alle Beteiligten und von Anfang an entspannt zu gestalten. Am Abend desselben Tages buchte ich, zusammen mit meiner Mutter, die Hin-und Rückfahrt bei der Bahn, telefonisch über den Mobilitätsservice (Telefonnummer: 0180/6512512).
Das geht folgendermaßen: Wie üblich gibt man Datum, Abfahrts- und Ankunftsbahnhof an. Die Fahrt mit dem IC oder ICE muss man allerdings auch mit einem B (Begleitperson) auf dem Ausweis bezahlen. Um das tun zutun, sucht man einfach zusammen mit dem/der Angestellten der Bahn eine gute Verbindung raus und schaut unbedingt nach Sparangeboten. Die Angestellten der Bahn buchen die Fahrt dann gleich, während man selbst noch am Telefon ist. Für die Bezahlung benötigt man eine VisaCard, welche bei der Bahn registriert wird. Anschließend erhält man einen Code, mit dem man seine Tickets am nächsten Fahrkartenautomaten bekommt. Im IC bzw. ICE bekommt man einen genauen Rollstuhl- bzw. Sitzplatz zugewiesen.
Die Hilfestellung (Ein-und Ausstiegshilfe) wird, wenn man diese benötigt, während des Telefongesprächs gleich mit gebucht. Eine Zusammenfassung aller Leistungen wird dann an die angegebene E-Mail-Adresse gesendet. Diese sollte man ausdrucken und, genau wie die Tickets, mit sich führen. Die Fahrten kosteten uns beide lediglich 29,00 €.
Nun war alles geplant, in weniger als einer Woche würde es losgehen. Ein sehr spontaner Aufbruch. Alles was jetzt noch zu tun war, war unsere Sachen zusammenzupacken, nicht so viele, denn wir mussten sie ja immer bei uns tragen, und uns auf die, so hoffte ich, vielfältige Stadt Prag zu freuen.
Tag 1
Am 03.08.2015, um ca. 7:00 Uhr, klingelte der Wecker, anziehen, frühstücken, das Auto einpacken war jetzt angesagt. Etwa zwei Stunden später saßen wir in unserem winzigen Bahnhof in Lutherstadt Eisleben. Unser erster Zwischenstopp sollte Halle (Saale) sein. Da wir schon Vorort waren, beschlossen wir, einen Zug früher zu nehmen. Etwa um 9:40 Uhr erreichten wir Halle (Saale), gingen zum ServicePoint der Deutschen Bahn, um zu sagen, dass wir die Ausstiegshilfe in Halle jetzt nicht mehr benötigten und nur noch in den nächsten Zug rein befördert werden mussten.
In Halle war zwischen Zug und Bahnsteig nur ein minimaler Absatz, den ich mit meinem Vater ganz einfach selbst meistern konnte. Weil wir eine Bahn früher genommen hatten als geplant, genehmigten wir uns ein zweites Frühstück mit Kaffee und Buttercroassant. Unser nächster Halt auf dem Weg nach Prag war der Hauptbahnhof Dresden, die Fahrt dorthin verbrachten wir in einem ICE auf bequemen Sitzen. Der Transfer in den Zug war problemlos, ich wurde auf eine Art Rampe gefahren, die dann an die richtige Einstiegsstelle gefahren wurde und entweder manuell oder automatisch nach oben befördert wurde, so dass ich von der Rampe ebenerdig in den Zug fahren konnte.
Als Rollstuhlfahrer mit Begleitperson hat man seine Plätze im sogenannten Ruhebereich, auch wenn es auf dieser Fahrt, wegen einer Großfamilie vor uns, überhaupt nicht ruhig zuging. Man wird auch eher dort untergebracht, weil sich im selben Abteil die meist vernünftige Rollstuhltoilette befindet. Die Fahrt bis zum Hauptbahnhof Dresden dauerte etwas weniger als drei Stunden. Während dieser Zeit konnte man schön entspannt lesen, Musik hören, seinen Gedanken nachhängen oder einfach den Gesprächen anderer Leute lauschen.
In Dresden angekommen, wurden wir schon wenige Minuten später in den Zug, der als Ziel Budapest hatte, verfrachtet. Budapest mit einem Halt in Prag. Diesmal saßen mein Vater und ich uns auf bequemen Sitzen gegenüber. In der Mitte war sogar ein Tisch. Die Fahrt nutzten wir, um einen Reiseführer zu studieren und die letzten SMS im deutschen Netz zu schreiben. Wir saßen diesmal nur etwa zwei Stunden im Zug. Zwar musste keiner von uns Auto fahren, doch wegen der Hitze waren wir trotzdem ziemlich erschöpft.
Vom Hauptbahnhof bis zu unserem Hotel konnte man laufen, auch wenn wir mit dem Rollstuhl ein paar Umwege einschlagen mussten. Der Check In war unkompliziert, eine kalte Cola an der Rezeption erweckte uns wieder zum Leben. Die Zimmer waren schmal, zwei Betten und ein Badezimmer mit Griffen an Toilette und ebenerdiger Dusche, alles ordnungsgemäß nach DIN. Für vier Tage war das Zimmer ausreichend, es gab sogar eine alte Röhre mit deutschen Programmen.
Unter diesen Bedingungen und nach der langen Reise ruhten wir uns erst einmal für zwei Stunden aus und schauten nach nächsten Zielen.
Am Abend begaben wir uns zuerst ins Hard Rock Café der Stadt, stärkten uns, sahen uns im Museum um, wo zum Beispiel die Beatles zu sehen waren und natürlich kaufte ich mir ein T-Shirt als Beweisstück. Nach dem tollen Abendessen begaben wir uns ins absolute Zentrum von Prag, auf die Karlsbrücke. Dort lauschten wir der abendlichen Straßenmusik, beobachteten Straßenkünstler und bestaunten die tolle Architektur. Erledigt fielen wir danach ins Bett.
So endete der erste, wirklich ereignisreiche Tag.
Tag 2
Der Wecker klingelte um kurz nach acht, zu früh für meinen Geschmack. Gestern Abend waren wir nur noch halbtot ins Bett gefallen und hatten geschlafen. An der Wand im Bad war ein Stuhl befestigt, auf den man sich zum Duschen setzen konnte. Zwar fand ich diese Methode schon immer ein bisschen rutschig, weil es keine Armlehnen gab aber mit Hilfe und etwas Gewöhnung war das alles möglich.
Der Frühstücksraum befand sich im ersten Obergeschoss, der Fahrstuhl war problemlos zu erreichen. Es gab ein kleines Buffet mit Würstchen, Gemüse, Toasts, Marmelade und Saft aus einem Automaten. Der Raum war mit einem Aktivrollstuhl gut zu durchqueren und das WLAN hier war am besten, sodass wir beim Frühstück recherchieren und dann entscheiden konnten, was wir an diesem Tag machen wollten. Bald nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg in die Stadt, es war drückend heiß (etwa 37°C).
Achtung: In Prag gibt es zwei verschiedene Straßenbahnen, die immer hintereinander ankommen. Es gibt eine ältere und eine neuere Art der Bahn, als Rollstuhlfahrer kann man nur in die neue einsteigen, denn sie ist ebenerdig. Die ältere Bahn ist nur durch Treppen zu erreichen, das ist nicht einmal für jemanden mit Rollator machbar.
Und so stiegen wir in die für uns richtige Bahn und begaben uns ins Zentrum von Prag. Die Stadt ist in ein paar Tagen gut zu schaffen. Allerdings ist noch viel von der früheren Bauweise erhalten und so gibt es viel ungeeignetes Kopfsteinpflaster. Noch dazu ist das Zentrum sehr bergig. Aus diesem Grund überlegten wir kurz, ob wir uns das rote Cabrio, welches in einer Seitenstraße stand, mieten sollten. Mit einem Rollstuhl von nur 8 kg wäre das kein Problem gewesen, doch der Preis von 50,00 € für nur eine Stunde war uns dann doch etwas zu viel des Guten.
Also mussten wir uns eine andere Möglichkeit suchen, um so viel wie möglich von der Stadt zu sehen, ohne dass mein Vater durch das anstrengende Schieben all seine Kraft und Lust verlor.
Nachdem wir eine Weile durch die Stadt geirrt waren, zeigte sich die Lösung unseres Problems direkt vor unseren Augen: Anscheinend befanden wir uns gerade an einer Anlegestelle für ein Schiff. Von dort aus wurde eine 60- minütige Schifffahrt auf der Moldau angeboten, inklusive Sightseeing. Bei dem heißen Wetter und dem schwer zu überwindenden Pflaster war das die optimale Gelegenheit, die Stadt zu erforschen. Ein junger Mann der Crew half mir mit meinem Aktivrollstuhl über das kleine Hindernis bis zum Schiff.
Achtung: Mit einem E-Rollstuhl wäre dieses Schiff nicht erreichbar gewesen!
Mein Vater bezahlte die erstaunlich günstigen Karten (In Prag bezahlt man mit tschechischen Kronen!) und uns wurde ein Tisch auf dem Schiff zugewiesen. Die Bewirtung war sehr freundlich und der Preis der Getränke gut bezahlbar.
Später waren wir äußerst hungrig, denn auf der sehr imposanten Fahrt hatten wir zwar getrunken, doch eine Mahlzeit haben wir uns dort nicht gegönnt. Was jetzt nur helfen konnte, war ein typisch tschechisches Essen: Böhmische Knödel mit Gulasch (zugegeben: tschechisch – ungarisch)! Wir fanden ein Restaurant im absoluten Zentrum von Prag, in der Nähe der berühmten astronomischen Uhr. Hier wird die Position der Sonne und des Mondes angezeigt und einmal in der Stunde versammeln sich viele Menschen, um das Schauspiel zu betrachten. Ich werde hier nichts verraten, schaut es euch selbst an!
Nach dem leckeren und kräftigenden Essen im Freien, schauten wir uns dieses an. Der Tag wurde langsam anstrengend, wir überlegten kurz mit der Bahn ins Hotel zurückzufahren. Doch wir schlenderten noch ein wenig durch die Stadt, beobachteten die verschiedensten Straßenkünstler, besuchten einen kleine Buchladen, gingen am Theater vorbei und fanden uns schließlich in einem
Einkaufszentrum wieder. An diesem heißen Tag spendete das Gebäude ein angenehm kühles Klima.
Hier genehmigten wir uns beide einen Eiskaffee. Nachdem wir uns von der Hitze ein wenig erholen konnten, fuhren wir schließlich doch zurück zum Hotel und genossen eine wohltuende Pause in unseren Betten. Nach einer Phase der Erholung stand nun der letzte Programmpunkt, das U Fleku, auf der Tagesordnung. Dort konnten wir im Freien, in der angenehmen Abendkühle, selbstgebrautes Schwarzbier trinken (1 Glas = 0,5 l) und den Musikern lauschen. Der Hof war voller Menschen, die Kellner hatten alle Hände voll zu tun, und so bot sich uns, zum Abschluss dieses tollen Tages, ein Anblick, den man selten so zu sehen bekommt.
Tag 3
Am dritten Tag saßen wir mit einem schweren Kopf und einem etwas zu starkem Geruch nach Knoblauch am Frühstückstisch. Nein, wir waren nicht betrunken oder sowas, nur war es eben die tschechische und nicht die deutsche Mentalität, die wir weniger gewohnt waren. Nun mussten wir schon ein wenig intensiver recherchieren, denn die markantesten Dinge der Stadt hatten wir bereits gesehen. Sicher war, dass wir uns im späteren Tagesverlauf noch die Prager Burg ansehen wollten. Für die erste Attraktion des Tages wählten wir schließlich den Aussichtsturm Petřín, eine Nachbildung des Pariser Eiffelturms. Die Adresse war im Internet schnell gefunden und so traten wir in die glühend heiße Vormittags-Hitze Prags. Mit der Bahn gelangten wir in etwa zwanzig Minuten zu unserem Ziel, um dann dort feststellen zu müssen, dass der Aufstieg und die Art “Gondelbahn” für den Rollstuhl völlig ungeeignet waren. Egal, davon lassen wir uns ja bekanntlich nicht entmutigen. Trotz des kleinen Misserfolges entdeckten wir, nicht weit vom Aussichtsturm entfernt, einen tollen Park mit sehr alten Bäumen und einer Orangerie. Als wir dort ankamen, lief dort sogar gerade eine Vogelausstellung.
Anschließend stürzten wir uns auf die Hauptattraktion des Tages: Ein Besuch der Prager Burg, auch Hradschin genannt, und der dazugehörigen Kirche. Die Prager Burg bildet das größte geschlossene Burgareal der Welt und liegt auf dem Berg Hradschin in der tschechischen Hauptstadt Prag.
Die Burg wurde im 9. Jahrhundert gegründet und hat seither ihr Aussehen stark verändert. Generationen von Baumeistern verschiedener Baustile waren daran beteiligt, die einzelnen Etappen der Geschichte hinterließen ihre Spuren. Sie war Sitz der böhmischen Herzöge und Könige, zweier Kaiser des Heiligen römischen Reichs sowie des tschechoslowakischen Staatspräsidenten. Heute ist sie die Residenz des Präsidenten der Tschechischen Republik.
Die Burg betrachteten wir nur von außen, in die Kirche kamen wir mithilfe einer Rampe, die uns vom Personal angestellt wurde. Die Eintrittspreise waren erschwinglich.
Nach der Besichtigung und in einer 40°C heißen Stadt hatten wir Durst und versuchten es im Café, welches zur Burganlage gehört. Die Kellnerin ließ uns unverschämte 20 Minuten warten, obwohl sie uns ganz offensichtlich gesehen haben musste, infolge dessen gingen wir ein Stück bis zum nächsten Restaurant. Dort aßen wir Fisch bzw. Hähnchen und tranken Tonic Water, neben Bier das Getränk des Urlaubs. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund verfuhren wir uns anschließend mit der Straßenbahn, bei dieser Hitze war das echt nicht ganz so lustig. Es dauerte etwa eine Stunde Umweg, bis wir im Hotel ankamen. Jetzt war eine lange Ruhepause in unseren Betten angesagt. Abends versuchten wir, noch ein paar herzlich gemeinte Souvenirs zwischen dem ganzen Kitsch zu finden und fanden uns anschließend, etwas unglücklich über unsere geringe Ausbeute im U Fleku wieder. Der Tag endete nicht so spät, wie der gestrige, denn morgen stand uns die lange Rückfahrt bevor.
Tag 4
Das letzte Mal frühstücken im Hotel, dann checkten wir mit all unseren Sachen auf dem Rücken und am Rollstuhl aus und begaben uns über den Wenzelsplatz in Richtung Bahnhof. Zeit für eine tatsächliche Unternehmung hatten wir heute nicht mehr, unser Zug fuhr gegen 14:00 Uhr. Also mischten wir uns noch ein bisschen unter das allgemeine Volk und hörten und sahen den unterschiedlichsten Künstlern zu. Bevor wir uns nun endgültig zum Bahnhof aufmachten, aßen wir in einer Sportsbar auf dem Wenzelsplatz noch eine Kleinigkeit.
Unser Zug hatte reichlich Verspätung, etwa 40 Minuten und als er nach 35 Minuten immer noch nicht angezeigt wurde, bekamen wir leichte Panik. Am Ende ist aber doch alles gut gegangen. Das Glück war heute auf unserer Seite und so schafften wir sogar den Zug von Dresden nach Halle.
Im Zug von Prag wurde wegen der starken Hitze, sogar Wasser verteilt, eine tolle Geste. Gegen 21:00 Uhr kamen wir dann schlussendlich völlig erschöpft zu Hause an. Was wir uns für 2016 vorgenommen haben? Mit demselben Zug durchfahren bis zur Endhaltestelle Budapest. Was wird uns dort wohl erwarten?
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