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Filmkritik: "In meinem Kopf ein Universum" (2013)

Heute möchte ich mich mal wieder zu einem Film äußern, den ich vor drei

Tagen gesehen habe, der vielen von euch bestimmt noch unbekannt ist und der

das Thema „Behinderung“ aus der Sicht eines „Betroffenen“ trotz vieler

suboptimaler Umstände witzig und mit einer unglaublichen Gelassenheit

darstellt.


Die Rede ist von der polnischen Produktion „In meinem Kopf ein Universum“

aus dem Jahr 2013, die in die Kategorie Biopic fällt, sich also mit einer real

existierenden Person beschäftigt. Denn es geht um Mateusz (Dawid Ogrodnik),

der mit seiner Mutter (Dorota Kolak), seinem Vater (Arkadiusz Jakubik) und

seinen Geschwistern Matylda (Helena Sujecka) und Tomek (Mikolaj

Roznerski) zusammenlebt. Schon sehr früh wird er von den Ärzten als

„Gemüse“ abgestempelt, keiner der Spezialisten geht davon aus, dass

Mateusz´s Gehirn überhaupt arbeitet. Doch seine Eltern sind von ihm

überzeugt und geben daher nichts auf fremde Meinungen.


Mateusz „leidet“ an einer Zerebralparese, kann daher nicht laufen und nicht

kommunizieren und hat nur sehr eingeschränkt Kontrolle über seinen Körper.

Tief in seinem Inneren wartet er auf den Moment, in dem er zeigen kann, dass

er kein „Gemüse“ ist …


Doch dieser Moment ist noch nicht jetzt, und so lebt Mateusz im Kreise seiner

Familie, schnappt so viele Informationen wie nur möglich auf und wartet.

Viele Interaktionen, außerhalb der Familie, gibt es nicht. Dabei entwickelt

Mateusz Bedürfnisse wie jeder andere junge Mann in seinem Alter, doch er

bleibt stumm.


Seine Lieblingsbeschäftigung ist es, zusammen mit seinem Vater die Sterne zu

betrachten. Als dieser eines Tages stirbt, bricht für Mateusz eine Welt

zusammen. Nun geht es bergab, denn die Familie spielt immer mal wieder mit

dem Gedanken, ihn in eine „spezielle Einrichtung“ zu geben.


Und dann passiert genau das: Beim Versuch, Mateusz hochzuheben, stürzt

seine Mutter. Nun ist der nächste Schritt unausweichlich und den Jungen

verschlägt es in ein Pflegeheim. Hier findet er die Bewohner bescheuert und

die Mitarbeiter unfähig, seine Mutter kommt nur einmal in der Woche für ein

paar Stunden. Mateusz ist jetzt Mitte 20 und noch immer unternahm niemand

den Versuch, mit ihm zu kommunizieren. Wenn er versucht, sich bemerkbar

zu machen, folgen nur grässliche ärztliche Eingriffe, ohne jegliche

Notwendigkeit.


Als Mateusz Magda kennenlernt, eine Praktikantin im Heim, scheint es

Hoffnung zu geben, denn sie ist die einzige Person, die zu verstehen scheint,

dass er der Welt etwas zu sagen hat. Sie kommen sich näher, erleben

zusammen viele schöne Dinge und scheinen am Ende sogar so etwas wie eine

Beziehung zu führen. Doch eines Tages ist sie verschwunden, sie hat

gekündigt. Und so geht die Monotonie des Lebens im Heim weiter.

Mateusz ist mittlerweile 26 Jahre alt, als er Zeuge wird, wie einem anderen

Jungen im Heim von einer Frau Sprachtherapie gegeben wird. Sie muss neu

sein. Das ist seine Chance! Er schreit so laut er kann und wird tatsächlich

erhört.


In den darauffolgenden Monaten lernt er mithilfe einer Buchstabiertafel zu

kommunizieren und kann den langersehnten Satz endlich sagen: „Ich bin kein

Gemüse!“


Einige Zeit später hat Mateusz sogar die Möglichkeit, aus dem Heim für geistig

Behinderte in ein anderes umzuziehen, doch er wohnt jetzt schon so lange dort

und so beschließt er: Alles ist gut!


Also, zuerst: Der Titel des Films „In meinem Kopf ein Universum“ hat mich

gekriegt und ist mir nachhaltig im Kopf geblieben. Für mich, die ich ebenfalls

sprachlich eingeschränkt bin und nicht immer verstanden werde, und für

meine Freunde, die sich teilweise, genau wie Mateusz, nicht auf herkömmliche

Weise verständigen können, sind diese Worte genau treffend.


Als ich es dann jedoch nicht schaffte, den Film im Kino anzusehen, war ich

immer auf der Jagd nach der DVD, konnte mich aber nie endgültig dazu

durchringen, diese zu kaufen. Zum Ende des Jahres bot Amazon einige Filme

für nur 99 Cent zum Leihen an. Das war der Moment, in dem ich zuschlug.

Doch als hätte ich es geahnt, wartete ich fast bis zum Ablauf des Leihdatums,

ehe ich mir den Film dann tatsächlich ansah …


Einige Worte des Lobs vorne weg: Besonders rührend fand ich, dass er den

Film seiner Sprachtherapeutin, hier gespielt von Anna Nehrebecka, widmet. Das

würde ich genauso machen. Der Film erzählt eine unglaublich, für mich, die

ich selbst eine schöne Zerebralparese mit mir herumschleppe, intensive aber

auch brutale Geschichte. Denn dieser Mann war quasi 26 Jahre in sich selbst

eingesperrt und konnte sich nicht verständigen. Das er in dieser Situation

immer noch das Gute sieht, ist, ohne Frage, beeindruckend. Auch

schauspielerisch hat der Hauptdarsteller mich wirklich überzeugt, da er eine

Behinderung simuliert und diese nicht wirklich hat. Alle Preise, die er dafür

bekam, sind wirklich verdient.


Filmisch gibt es hier und da, von meiner Seite aus, aber einiges zu bemängeln:

Obwohl die Grundstory einiges hergibt, hat sich der Film für mich teilweise

ziemlich lang angefühlt und konnte mich leider auch nicht in jeder Minute

fesseln. Das ist eine wirklich bedauerliche Tatsache, da ich ein großer Fan von

dieser Art von Filmen bin und normalerweise auch immer eine Träne

verdrücken muss. Dieses Gefühl blieb hier fern. Leider merkt man dem Film

das geringe Budget an und er kann sich nicht mit Filmen wie „Die Entdeckung

der Unendlichkeit“ oder „Renn, wenn du kannst“ messen, obwohl letzterer

auch nur einen geringen Geldbetrag zur Verfügung hatte.


Eine Frage, die ich mir, als Spastikerin mit Leib und Seele, direkt nach dem Film

gestellt habe: War es wirklich nicht möglich für Mateusz, sich mit Nicken,

Kopfschütteln oder Zwinkern zu verständigen? Schließlich konnte er im Film

einige Sachen, die mir wohl immer verwehrt bleiben.


Abschließend möchte ich nicht sagen, der Film ist nicht sehenswert, nur einer

der schwächeren Vertreter in seinem Genre.


„In meinem Kopf ein Universum“ konnte viele Preise abräumen, hat somit

etwas Besonderes an sich, konnte mich als „Betroffene“ allerdings nicht

komplett überzeugen.

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